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Unter dem Titel »BAUWENDE: klimabewusst erhalten, erneuern, bauen« führte das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) am 18./19.11.2021 gemeinsam mit dem Bundesbauministerium den hybriden Kongress Zukunft Bau durch. Zielsetzung der Veranstalter war es, gemeinsam mit Fachexpertinnen und Fachexperten aus Praxis, Forschung, Wirtschaft und Politik zentralen Fragen nachzugehen: Welchen Beitrag die Bauwelt zu den Herausforderungen des Klimawandels leisten und wie der Wandel im Bauwesen gestaltet werden kann bzw. welche Weichen baupolitischer Art zu stellen sind. Der Kongress sollte dazu dienen, wichtige Fragestellungen und Lösungsansätze für eine klima- und ressourcenschonende Zukunft des Bauens aufzuzeigen, diese disziplinübergreifend zu diskutieren und damit aktiv zur Gestaltung unserer Zukunft beizutragen. Im Fokus standen zukunftsweisende Strategien sowohl für den Erhalt von Bestandsbauten als auch für die Errichtung von Neubauten. Auf übergeordneter Ebene wurde in hochkarätiger Besetzung über die Voraussetzungen für die Bauwende auf gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und politischer Ebene diskutiert.

„The strength of weak ties“ Keynote von Prof. Armin Nassehi, Institut für Soziologie der Ludwig-Maximilians-Universität München, fokussierte die anstehenden Veränderungen, die vorhandenen Strukturen und die systemischen Implikationen, die für die Bauwende und die Transformation insgesamt betrachtet werden müssen. Weil die gebaute Umwelt Kulminationspunkt unterschiedlicher Funktionen und Sektoren des gesellschaftlichen Lebens ist – Wohnen, Arbeiten, Produzieren, Handel, Transport/Verkehr und Finanzwelt – gebe es auch keine allein technischen oder ökonomischen oder politischen oder moralischen oder architektonischen Lösungen. Damit verbunden seien logische, motivationale, normative und operative Herausforderungen. Die Trägheit der Strukturen stehe dem erforderlichen Wandel entgegen, folgerte er, und stellte die „Preisfrage“ wie diese überwunden werden könne. Ungewöhnliche Verbindungen einzugehen breche Muster auf und erzeuge neue Lösungen – der Gedanke der Interdependenzunterbrechung ermögliche es, aus dem Problem die Lösung zu generieren: „The strength of weak ties“. Um die Probleme zu lösen, müssten ungewöhnliche Verbindungen eingegangen werden, schlug Nassehi als methodischen Ansatz vor.

„Städte zu Wäldern machen“   lautete der Aufruf von Prof. Hans Joachim Schellnhuber, Direktor Emeritus am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, Initiator und Gründer der ,Bauhaus der Erde gGmbH’ an die Akteure des Bauwesens. Denn: „Wir haben ein Menschheitsproblem – der zu erwartende Temperaturanstieg bis 2100 liege zwischen +2 Grad und +4 Grad Celsius“. Vor allem anderen fordert er die Transformation der gebauten Umwelt: „Ohne radikale Bauwende wird das Pariser Klimaabkommen scheitern. Wenn wir Stahlbeton durch organische Materialien wie Holz oder Bambus ersetzen, können wir erhebliche Mengen an klimaschädlichen Emissionen vermeiden. Mit regenerativer Architektur könnten wir uns quasi aus der Klimakrise herausbauen.“ Gebäude als globale Kohlenstoffsenke lautet sein Motto: in 2050 sollten 90% der städtischen Neubauten aus Holz errichtet werden, darin könnten 75 GT CO2 gespeichert werden. Dem stünde ein Ausstoß von 28 GT CO2 gegenüber, aber eine Reduktion von 71 GT CO2 auf 7 GT CO2 durch den auf 10% abgesenkten Anteil von Stahl und Beton.
Deutschland hat sich das Ziel gesetzt bis 2045 CO2 - neutral zu werden. Der Fahrplan für die Transformation laute: Dekarbonisierung und der Weltregion entsprechende erneuerbare Energien aus Wind, Sonne, Wasser oder als gemischtes System. Weil die gebaute Umwelt für 40% des globalen Treibhausgasausstoßes und 55% des Abfallaufkommens (entwickelte Länder) verantwortlich sei – der Elefant im Klimaraum – müsse die Bauwende am dringlichsten vorangetrieben werden. Städte mit Neubauten aus Holz könnten als CO2-Senken Zeit verschaffen für die Klimawende. Bio-basiertes Bauen liefere eine bessere Lösung als technologische Ansätze, wie z.B. die CO2-Filterung führte Schellnhuber aus. Zudem müsse der Verlust von Wäldern gestoppt und 200 Mio. Hektar an degradierten Flächen, v.a. in Asien, wiederaufgeforstet werden.

"Bevölkerungswachstum und fortschreitende Urbanisierung erfordern globale Lösungen für die Klimaziele" resümierte Prof. Estelle Herlyn, FOM für Oekonomie und Management Düsseldorf, in ihrem Vortrag über Nachhaltigkeit im Bauwesen, Globale Herausforderungen und mögliche Lösungsansätze die rasante Urbanisierung – denn bis 2050 würden doppelt so viele Menschen in Städten leben wie heute. In den kommenden 40 Jahren würde die Stadt New York 500-mal gebaut werden müssen – eine pro Monat. Durch die Urbanisierung habe China von 2011 bis 2013 so viel Beton verbaut wie die USA im gesamten 20. Jahrhundert. 
"Die gigantischen Nachhaltigkeitsherausforderungen im Bereich des Bauens werden vor dem Hintergrund des anhaltenden Bevölkerungswachstums und der deshalb fortschreitenden Urbanisierung – in 2050 werden doppelt so viele Menschen wie heute in Städten leben - nur mit technologischen Innovationen zu bewältigen sein." Zunehmende Migration unterstreiche die Notwendigkeit für globale Veränderungen. Herlyn zufolge ist das Bevölkerungswachstum zentraler Treiber für viele Probleme. Durch den Bauboom komme es zu steigenden CO2 - Emissionen und Energieverbrauch sowie Ressourcenknappheit. Herlyn konstatierte, dass die Mega-Cities im Jahre 2100 so groß sein werden (z.B. 80 Mio. Einwohner in Lagos), dass Holz das durch die Bevölkerungsexplosion generierte Wohnungsproblem nicht lösen könne. 
Für Deutschland verwies Herlyn auf hohe Baukosten, fehlende Ressourcen durch weltweite Nachfrage und Handwerkermangel als Gründe für die geringe Sanierungsrate von 1,9%, mit der die deutschen Klimaziele unerreichbar seien. Zudem sei die Bau- und Immobilienwirtschaft Ort des Konfliktes zwischen Ökologie und Sozialem. Herlyn zufolge ist „Deutschland ist aktuell kein Muster für die Welt“ und fordert: „Der Raum möglicher Lösungen muss dringend erweitert werden“. Es müsse international gedacht, Synergien hergestellt, Klimaschutz und Entwicklung zusammen gedacht werden: „750 € Investition spart eine Tonne CO2“ – die Schweiz unterstütze bspw. Peru, weil sie ihre CO2 - Probleme allein nicht lösen könne. Unter der Überschrift „Gibt es eine (globale) Lösung?“ plädierte die Referentin für Pragmatismus und Lösungsoffenheit – auch im Hinblick auf die Nutzung synthetischer Energieträger für Heizung und Kühlung sowie die Verwendung von klimaneutralem Stahl, Beton und Zement mittels Direktreduktion mit Gas (inkl. CCU, ggf. als Brückentechnologie) und E-Fuels im Bereich (Baustellen)Logistik. Notwendig dafür sei aber nicht nur grüner, sondern klimaneutraler Wasserstoff.
Als Erfolgsfaktoren und notwendige Bausteine einer guten Zukunft führte sie eine durch Wohlstand bedingte Stabilisierung des Bevölkerungswachstums, ein Zusammendenken von Entwicklung und Klimaschutz, Technologieoffenheit, Umbau statt Abriss an.


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